Politik

Trend zur Briefwahl ungebrochen

Wählermobilisierung 2.0

GDN - Die Zeiten ändern sich unaufhörlich. Auch das Wahlverhalten der Bürger hat sich in den vergangenen Jahren massiv geändert. Seit erstmals am 17. September 1957 bei einer Bundestagswahl per Briefwahl gewählt werden durfte, ist die Einstellung der Wähler zum Urnengang komplett anders geworden.
Während man anfänglich noch brav den Weg persönlich zur Urne antrat, um sich als vorbildlich agierender Staatsbürger seines demokratischen Grundrechtes zu bedienen, tritt diese Art des Wählens zunehmend in den Hintergrund. Derzeit sind bei den wahlberechtigten Deutschen wahrlich erdrutschartige Veränderungen in der Art der Wahldurchführung bemerkbar. Die "Welt" berichtet davon, dass eine zunehmende Zahl der Wähler bereits vor dem offiziellen Wahltag ihr Kreuzchen mache. Die Stimmabgabe in den eigenen vier Wänden mit anschließendem Postversand scheint vielen die ansprechendere und vor allen Dingen deutlich bequemere Variante zu sein. Laut "Welt" sehen Staatsrechtler jedoch hierin nicht nur positive Aspekte.
Einige fordern deshalb eine deutliche Verkürzung der Frist für die Briefwahl, um für gleiche Rahmenbedingungen wie am Wahltag zu sorgen. Eine Einhaltung aller Wahlgrundsätze, dass gemäß Artikel 38 des Grundgesetzes Parlamentswahlen allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim durchzuführen sind, darf für das häusliche Umfeld durchaus angezweifelt werden. Sicher zu stellen, dass die Stimmabgabe analog zu den Rahmenbedingungen in einem öffentlichen Wahllokal durch den Wahlberechtigten selbst, unbeobachtet und unbeeinflusst geschieht, ist in diesem Kontext schier nicht möglich. Die moderne Anklick- und Bestellgesellschaft scheint nun auch bei der Politik angekommen zu sein.
Der moderne Staatsbürger macht es sich bequem, indem er sich quasi per Paket und Hauslieferung auch die gewünschte Politik liefern lässt. Das gesellschaftliche Grundverhalten unserer Konsumgesellschaft scheint sich nun schon fast als logische Konsequenz auch auf das Wahlverhalten zu übertragen. Verschiedene Fachleute sehen hierin einen nicht unbedenklichen Trend. Ursprünglich beabsichtigte man, so die "Welt", den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in der noch frischen Demokratie der jungen Bundesrepublik zu garantieren. Man wollte es jedem wahlberechtigten Bürger ermöglichen, seine Stimme abzugeben. Zur Briefwahl wurden jedoch initial hohe Hürden aufgestellt.
Nur Erkrankte und Bürger auf Reisen, die dadurch verhindert waren, persönlich den Urnengang anzutreten, war eine Briefwahl gestattet. Diese Regelung galt noch bis ins Jahr 2008, ist aber inzwischen komplett weggefallen. Von der Möglichkeit entspannt, ohne Angabe von Gründen von zu Hause aus zu wählen, macht mittlerweile laut einem Bericht der "Zeit" bei der diesjährigen Bundestagswahl nahezu jeder dritte Wähler in der Bundesrepublik Gebrauch. "Bild" berichtet von einem Anteil von 30 Prozent Briefwählern gemäß Ergebnis einer INSA-Umfrage. Im Vergleich dazu belief sich dieser Anteil bei den Bundestagswahlen 2013 noch bei 24,6 Prozent. Ein umstrittener Trend.
Staatsrechtler meldeten bereits in der Vergangenheit deutliche Bedenken an, was dazu führte, dass sich das Bundesverfassungsgericht mehrfach mit dieser Problematik beschäftigen musste und 2013 feststellte, dass die Ermöglichung der Briefwahl ohne Angabe von Gründen bei der Europawahl verfassungsgemäß sei. Ähnlich unproblematisch sehe dies laut "Welt" auch Politikwissenschaftler Eckhard Jesse aus Chemnitz, der nicht nur eine deutlich höhere Wählermobilisierung, sondern auch gleichzeitig rückläufige Quote ungültiger Stimmen bei Briefwählern bemerke.
Andere, wie z.B. Ulrich Battis, Emeritus für Staatsrecht an der HU Berlin sehen die Entwicklung skeptisch und befürchten die Notwendigkeit einer neuen Bewertung durch das Bundesverfassungsgericht, sollte der Briefwähleranteil weiter ansteigen, schreibt die "Welt". Diesen Trend zu stoppen oder sogar rückgängig zu machen, erscheint im Hinblick auf die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen nahezu unmöglich.
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